
02.13 3
EDITORIAL
Schlimm genug, dass die OECD regel-
mäßig daneben liegt, wenn sie die Bil-
dungssysteme weltweit vergleicht und
dabei die Bedeutung der dualen Ausbildung
in den deutschsprachigen Ländern völlig ver-
kennt. Mögen für die Überbewertung der aka-
demischen Bildung fehlende Systemkenntnis
und unzulänglicher Bekanntheitsgrad der
deutschen Berufsausbildung als Erklärung
herhalten, für die Schieage der beruichen
Bildung hierzulande taugen solche Argumen-
te nicht. Diese ist hausgemacht.
Die schulpolitischen Reformen der Landes-
regierung verfolgen das im grün-roten Koaliti-
onsvertrag formulierte Ziel einer Akademiker-
quote von 50 Prozent. Das Abitur wird damit
zum Bildungsziel Nummer eins. Bildungswege
und schulpolitische Reformen folgen dieser
Logik: Abschaffung der verbindlichen Emp-
fehlung nach der Grundschule, Etablierung
einer Gemeinschaftsschule mit optionalem
Gymnasialzug, Wiedereinführung des neun-
jährigen Gymnasiums, Ausbau der berui-
chen Gymnasien.
Die duale Ausbildung gerät ins Hintertref-
fen und wird nicht mehr als gleichwertige Al-
ternative wahrgenommen. Die Anzahl der
neuen Lehrverträge geht zurück, tausende
von Ausbildungsplätzen bleiben unbesetzt.
Die Berufsschulen müssen um jede Wieder-
besetzung einer Lehrerstelle bangen, obwohl
sie nach wie vor unterversorgt sind und des-
halb laufend Unterricht ausfällt. Vor Ort sind
Fachklassen gefährdet, wenn die Schülerzah-
len sinken.
In weiten Teilen der Wirtschaft läuten die
Alarmglocken. Denn der Fachkräftebedarf
der Unternehmen fokussiert sich insgesamt
nicht im akademischen Bereich. Große Lü-
cken entstehen vielmehr bei Fachwirten,
Meistern und Experten, die aus der dualen
Ausbildung kommen. In der Region Stuttgart
lässt der IHK-Fachkräftemonitor erkennen,
dass bereits im nächsten Jahr fast sechsmal so
viel beruich Qualizierte als Akademiker
fehlen werden.
Wirtschaft und IHK stemmen sich vehe-
ment gegen die drohende Fehlallokation: Mit
Ausbildungskampagnen, Bildungspartner-
schaften, Lehrstellenbörsen, Bildungsmessen,
Ausbildungsbotschaftern und vielen weiteren
Aktionen. Die Unternehmen sind auch bereit,
noch mehr Jugendliche mit Förderbedarf auf-
zunehmen. Die betrieblichen Einstiegsquali-
zierungen haben sich hervorragend bewährt,
werden aber zu wenig nachgefragt.
Um die Anstrengungen der Wirtschaft
nicht zu konterkarieren, bedarf es in Baden-
Württemberg einer bildungspolitischen Kurs-
korrektur. Der neue Kultusminister hat dazu
eine Fülle von Ansatzpunkten. Zum Beispiel
bei der anstehenden Bildungsplanreform. Sie
muss dazu genutzt werden, die Ausbildungs-
reife der jungen Menschen als verbindlich an-
zustrebendes Ziel zu verankern und die Ori-
entierung über beruiche Bildungswege und
Berufe der jungen Menschen durchgängig zu
gestalten.
Gemeinsames Ziel muss sein, möglichst vie-
len jungen Leuten den direkten Einstieg in die
duale Ausbildung nahezulegen. Umwege über
kostspielige Vollzeitschulen sind unnötig. Wer
einen höheren allgemeinbildenden Abschluss
erwerben will, kann dies auch während einer
Berufsausbildung tun. Es muss deshalb sorg-
sam geprüft werden, inwieweit Berufsfach-
schulen und Berufskollegs weiterhin aufrecht-
erhalten werden sollen.
Die Berufsschulen tragen zusammen mit
den Ausbildungsbetrieben das duale System.
Sie sind vorbehaltlos zu stärken. Die Strei-
chung von Lehrerstellen verbietet sich von
selbst, solange das chronische Unterrichtsde-
zit nicht a/jointfilesconvert/306784/bgebaut ist. Bei jeder Kleinklasse
muss unter Einbeziehung der Ausbildungsbe-
triebe und der IHK nach Lösungen gesucht
werden, die für alle Beteiligten zumutbar sind.
Die Ausbildung in einzelnen Berufen darf
nicht durch lange Anfahrtswege und hohe
Kosten bei auswärtiger Unterbringung verhin-
dert werden.
Für viele junge Leute ist der beruiche Bil-
dungsweg der bessere. Politik und Gesell-
schaft tun gut daran, diesen Karrierepfad zu
fördern und unvoreingenommen offen zu
halten.
Umsteuern in der Bildung
Geschäftsführer Beruf und Qualikation
der IHK Region Stuttgart
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